14. Juni 2023 Antrag auf Entlassung Aiwanger
Thomas Gehring (GRÜNE): Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Prinzipien von Gleichheit und Anstand, die Gefühle von Freiheit und gemeinsamer Über-zeugungen bilden das Wesen von Demokratien.
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Das haben wir heute Nachmittag von Frau Kollegin Schulze gehört! Geistige Brandstiftung!)
So schreiben Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch "Wie Demokratien sterben". Sie beschreiben, wie Demokratien erodieren, weil Akteure in Parteien, in Parlamenten, in Regierungen diese Prinzipien nicht achten, weil sie demokratische Auseinandersetzungen als Kampf oder Krieg verstehen und persönliche Profilierung über die gemeinsamen Werte stellen.
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Lukaschenko!)
Wir alle, aber insbesondere die Mitglieder der Staatsregierung, tragen Verantwortung dafür, wie wir im demokratischen Streit gemeinsam miteinander umgehen.
(Beifall bei den GRÜNEN sowie Abgeordneten der SPD)
Wir und die Mitglieder der Staatsregierung, die qua Amt das Privileg haben, öffentlich zu sprechen, Gehör zu finden, tragen Verantwortung für ihre öffentlichen Worte und ih-re Sprache.
(Beifall bei den GRÜNEN sowie Abgeordneten der SPD)
Sprachlicher Anstand und Redlichkeit – ich weiß, das sind konservative Begriffe –, sprachlicher Anstand und Redlichkeit sind Voraussetzungen für einen demokratischen Diskurs. Wir fordern hier mit diesem Antrag, dass sich die Mitglieder dieser Staatsregierung diesem Anstand und dieser Redlichkeit verpflichten. Denn, bei seinem Auftreten am Wochenende in Erding, hat Hubert Aiwanger diesen Anstand nicht gezeigt und diese Redlichkeit vermissen lassen. Erding war ein Tiefpunkt im demokratischen Diskurs – so etwa eine Überschrift in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", so ist aber auch die Einschätzung vieler Kommentatorinnen und Kommentatoren, aber auch von Kolleginnen und Kollegen, etwa aus der CDU.
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Morgen den "Merkur" lesen!)
Herr Aiwanger hat – nicht zum ersten Mal – eine rote Linie überschritten. Ich zitiere diesen Satz: "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende Mehrheit im Land sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen muss: Ihr habts wohl den Arsch offen." – Die sprachliche Entgleisung am Ende des Satzes steht für das Niveau des Redners. Gut, dafür ist jeder selbst verantwortlich. Schlimmer sind die Anklänge an Aussagen der AfD und von Donald Trump, etwa wenn Aiwanger laut Presse brüllt:
(Zuruf des Abgeordneten Florian Streibl (FREIE WÄHLER))
Wir werden diese Berliner Chaoten vor uns hertreiben. – Aber noch mehr geht es mir um den Inhalt dieses Satzes. Er ist zutiefst falsch und antidemokratisch.
(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN – Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Genauso wie Habeck!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hohes Haus, Demokratie war im Deutschland des Jahres 2023 nie weg, und sie muss auch nicht zurückgeholt werden. Der Satz Aiwangers ist ungeheuerlich und wurde auch nicht in irgendeiner Art und Weise relativiert. Was ist der Sachverhalt? – Eine demokratisch gewählte Bundesregierung macht einen Gesetzentwurf, der jetzt, in einem demokratischen Beratungsverfahren, im höchsten deutschen Parlament beraten wird – er wurde übrigens heute eingebracht – und dann demokratisch, per Mehrheitsentscheid, entschieden wird. Das ist Demokratie.
(Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Was war denn dann Wackersdorf?)
– Herr Streibl, Demokratie ist auch, dass eine breite Mitte der Gesellschaft, nämlich 99 % der Wählerinnen und Wähler, bei der letzten Bundestagswahl entschieden ha-ben, dass die FREIEN WÄHLER nicht in den Bundestag einziehen.
Und noch einen Punkt, auch zu Ihrer heutigen Pressemitteilung, Herr Mehring. Nicht die Bundesregierung spaltet, die da einen Gesetzentwurf vorlegt, der in demokratischen Gremien und in einer demokratischen Öffentlichkeit diskutiert wird und auch diskutiert werden muss, der vielleicht durch die Diskussion verändert, vielleicht ganz zurückgezogen wird. Das ist Demokratie. Nein, es sind die, die spalten, die diesen Gesetzentwurf eben nicht diskutieren, die agitieren, die Unwahrheiten sagen, die Ängste schüren.
(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN sowie Abgeordneten der SPD – Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Es geht nicht nur um den Gesetzentwurf, es geht um Ideologie!)
Ja, es gibt Ängste in der Bevölkerung. Es gibt Ängste, es sind schwere Zeiten, nach Corona, jetzt der Angriffskrieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Inflation. Es ist die Aufgabe eines Ministers, diese Ängste in der Bevölkerung wahrzunehmen. Es ist aber nicht die Aufgabe eines Ministers, Ängste zu schüren und Ängste zu instrumentalisie-ren. Das ist unanständig und undemokratisch.
(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch bei den FREIEN WÄHLERN und der CSU)
Diese Äußerung, dass sich die schweigende Mehrheit die Demokratie zurückholen muss, ist unhaltbar und eines Demokraten unwürdig.
(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer schrieb: "Wer ernsthaft meint, in Deutschland müsse sich eine ‚schweigende Mehrheit‘ die ‚Demokratie zurückholen‘, der hat das Ende der Populismus-Fahnenstange erreicht." Und Ilse Aigner, die Landtagspräsidentin, hat gesagt: Man kann die Entscheidung der Ampel für richtig oder eben falsch halten, aber die Entscheidungen würden demokratisch gefällt. Das sollte auch ein Stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender einer Partei in Regierungsverantwortung nicht infrage stellen. – Recht hat sie.
(Beifall bei den GRÜNEN – Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Es geht nicht um eine Entscheidung!)
Staatskanzleichef Florian Herrmann sagt: Wir leben in einer Demokratie, und deshalb brauchen wir auch niemanden aufzufordern, diese von irgendwoher zurückzuholen. Innenminister Joachim Herrmann warnt Aiwanger davor, eine Sprache zu gebrauchen, wie sie bei Querdenkern und Reichsbürgern benutzt wird.
(Beifall bei den GRÜNEN – Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Und Robert Ha-beck! – Zuruf des Abgeordneten Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER))
– Aber Aiwanger ist dieser Satz nicht irgendwie herausgerutscht. Er hat sich danach, trotz Kritik und auf mehrfache Nachfrage nicht dafür entschuldigt, im Unterschied zu Herrn Habeck, Herr Pohl. Er hat ihn relativiert, er hat ihn verteidigt und angekündigt, diese Sprache weiter zu sprechen. Das ist der Unterschied, das ist Aiwanger!
(Beifall bei den GRÜNEN – Unruhe bei der CSU und den FREIEN WÄHLERN)
Die Kritik daran als linke Masche abzutun, die Kritik von Ilse Aigner und Florian Herr-mann, das zeigt, wie intellektuell erbärmlich und uneinsichtig Herr Aiwanger ist.
(Beifall bei den GRÜNEN sowie Abgeordneten der SPD)
Dazu kommt dann eine Kritik an der Presse, die an das Lügenpresse-Narrativ erinnert. All das zeigt, in welchen Irrealitäten dieser Stellvertretende Ministerpräsident unterwegs ist.
(Beifall bei den GRÜNEN sowie der Abgeordneten Alexandra Hiersemann (SPD))
Als Regierungsmitglied hat man nicht nur Verantwortung dafür, was man sagt, sondern auch, vor wem man was sagt. Um es klarzustellen: Grüne Demonstrationen gegen grüne Regierungspolitik sind okay. Aber man muss schon schauen, mit wem man demonstriert.
(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Connewitz! Connewitz! – Unruhe bei der CSU und den FREIEN WÄHLERN)
– Herr Pohl, Sie können bei jeder Kundgebung von mir dabei sein und schauen, wer da demonstriert, kein Problem. Aber man muss schon schauen, mit wem man demonstriert.
(Zuruf des Abgeordneten Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER))
– Herr Mehring, in Erding waren AfD-Anhänger dabei. Transparente machten deutlich, dass Leute aus der Querdenkerszene dabei waren. Es ging um eindeutig rechtsextreme Codes bis zu einem Aufruf zum Mord mit dem Plakat: "Hängt die GRÜNEN auf".
Da gehört es sich als Stellvertretender Ministerpräsident, sich von solchen Plakaten zu distanzieren. Man kann auch dazu auffordern, sie abzunehmen. Es hätte sich auch gehört, eine Rede abzubrechen. Stattdessen lässt er sich von einem, zumindest in Teilen, rechtsradikalen Publikum mit Hubsi-Rufen feiern. Das ist unerhört!
(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN sowie Abgeordneten der SPD – Alexander König (CSU): Was hätte er dagegen machen sollen?)
Aber auch Ministerpräsident Söder konnte es nicht lassen. Auch er wollte noch schnell auf diese eigenartige Veranstaltung, weil er Aiwanger das Feld nicht alleine überlassen konnte. Ministerpräsident Söder hat dann realisiert, als es Buh-Rufe gegen ihn gab, auf welcher Veranstaltung er war. Erst dann hat er sich von den zahlreichen AfD-Anhängern distanziert. Das war nötig und richtig. Hubert Aiwanger jedoch wurde gefeiert – und er ließ sich feiern.
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Was hätte er denn sagen sollen?)
Wir stellen seit einiger Zeit fest, dass Herr Söder und Herr Aiwanger sich in einem verhängnisvollen – –
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Was hätte er denn machen sollen?)
– Herr Mehring: schweigen.
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Das ist ja so ein Krampf!)
– Ja, Ihre Zwischenrufe sind Krampf. Seien Sie einfach einmal ruhig.Herr Söder und Herr Aiwanger sind seit einiger Zeit
(Unruhe bei der CSU und den FREIEN WÄHLERN)
in einem verhängnisvollen Wettbewerb um rechtspopulistische Stimmen, mit denen sie sich immer weiter in ein rechtspopulistisches Vokabular treiben lassen.
(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Und Habeck stellt sich vor linksradikale Gewalt!)
Ich habe in letzter Zeit Markus Söder immer wieder in seiner Rolle als Ministerpräsident in einer Reihe von Reden bei unterschiedlichen Anlässen gehört. Da wird gewitzelt, da wird geschwindelt, da gibt es bewusst gesagte Unwahrheiten, da werden Witze auf Kosten Dritter gemacht, da wird die Sprache rechter Agitatoren, rechter Medien übernommen, da gibt es die Diffamierung politisch Andersdenkender.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all denen, die diese Sprache rechter und undemokratischer Demagogen benützen, ist nicht klar, welch wertvolles Geschenk diese liberale Demokratie ist, wie wertvoll eine aufgeklärte Öffentlichkeit ist und wie gefährdet sie zugleich ist. Das darf man für eine Wahlkampfstrategie nicht aufs Spiel setzen.
(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Was soll das? Das ist Wahlkampfstrategie in Reinkultur! Die ganze Debatte ist nur Wahlkampf!)
Hohes Haus, Herr Aiwanger hat – nicht zum ersten Mal – eine rote Linie überschritten. Er tut das bewusst und kalkuliert, und er wird es wieder tun.
(Zuruf des Abgeordneten Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER))
Daher ist er als Stellvertretender Ministerpräsident und Mitglied einer bayerischen Staatsregierung nicht tragbar. Wir fordern den Ministerpräsidenten auf, ihn zu entlassen.
(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN – Alexander König (CSU): Soweit kommt es noch, dass der Ministerpräsident auf die GRÜNEN hört!)
Thomas Gehring (GRÜNE): Herr Abgeordneter, rote Linien werden definiert durch unsere Bayerische Verfassung, durch unser Grundgesetz und auch durch den demokratischen Diskurs in unserer Gesellschaft. Die AfD ist in diesem Land demokratisch gewählt, und ihre gewählten Vertreter haben alle Möglichkeiten und Rechte eines Abgeordneten wie jeder andere auch, und sie werden von uns auch dementsprechend behandelt. Zur Demokratie gehört aber auch, dass man Wahlen verliert. Demokraten akzeptieren auch das Ergebnis von Wahlen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Thomas Gehring (GRÜNE): Herr Aiwanger hat in Erding eindeutig Prinzipien einer liberalen Demokratie verletzt.
(Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Geistige Brandstifter sind Teil einer Demokratie! Astreine Rechtspopulisten!)
Thomas Gehring (GRÜNE): Es gilt, das zu verhandeln und darüber zu reden. Er ist kein Waisenkind im Austeilen. Von daher sollte er auch kein Waisenkind im Einstecken sein.
(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Grüne Doppelmoral! Peinlich! – Alexander König (CSU): Das ist eine grüne Doppelmoral? – Das ist überhaupt keine Moral! – Weitere Zurufe)
Thomas Gehring (GRÜNE): Wenn Sie in der Lage sind, das richtige Zitat zu nennen, werde ich mich dazu äußern. – Danke schön.
(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Geistiger Brandstifter! Astreiner Rechtspopulist! Lukaschenko!)
Thomas Gehring (GRÜNE): Aufgrund meiner Geschichte habe ich keine Probleme, mich gegenüber Linksextremen abzugrenzen. In dieser Diskussion heute geht es aber um die Wortwahl.
(Zurufe von der CSU und den FREIEN WÄHLERN)
Es geht um die Wortwahl von Demokratinnen und Demokraten.
(Tanja Schorer-Dremel (CSU): Was für eine Doppelmoral!)
Es geht um unsere Sprache, und es geht um die Moral, die man mit seinen Worten zeigt.
(Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Grüne Doppelmoral!)
– Das ist keine Doppelmoral,
(Tanja Schorer-Dremel (CSU): Grüne Doppelmoral!)
sondern das ist leider offensichtliche Moral Ihrer Seite.
(Beifall bei den GRÜNEN – Alexander König (CSU): Grüne Doppelmoral! Aufhören!)
Thomas Gehring (GRÜNE): Herr Kollege Reiß, da Sie ja so ein Experte für Linksextremismus sind: Halten Sie auch die Kritik von Ilse Aigner und Florian Herrmann an Hubert Aiwanger für eine linke Masche? Erste Frage. Zweitens. Haben Sie sich jetzt eindeutig von den Äußerungen von Hubert Aiwanger distanziert? Drittens. Ist der Artikel heute in der "Süddeutschen Zeitung" so zu verstehen, dass Markus Söder seine Strategie ändert und seine Wortwahl in Zukunft ändern wird?
(Beifall bei den GRÜNEN)
(Steffen Vogel) Die Wirtschaft braucht Verlässlichkeit. Habeck sagt: Achtung, wenn es knapp wird: Bevor die Leute frieren, müssen wir unsere Industrie drosseln oder gar abschalten. Das hat er diese Woche gesagt.
Thomas Gehring (GRÜNE): Das sagt jeder Bundeswirtschaftsminister!)
Als Kinderbuchautor hat dieser Bundeswirtschaftsminister von Wirtschaft so viel Ahnung wie ein Veganer von der Currywurst. Deshalb schadet diese Regierung unserem Land und unserer Wirtschaft.
(Tobias Reiß) Sie meinen, dass Sie mit Hinweisen auf Extremismus- oder Linksextremismus-Expertise davon ablenken können, dass Sie die zwar haben, aber nicht beachten –
(Thomas Gehring (GRÜNE): Ich habe eine Frage gestellt!)
–, weil Sie eben auf dem linken Auge blind sind und da alles zulassen wollen.