Empfang für und mit den Sinti und Roma in Bayern
Empfang für und mit den Sinti und Roma in Bayern
am 15. Mai 2023 im Bayerischen Landtag
Grußwort von Herrn Thomas Gehring, MdL
Vizepräsident des Bayerischen Landtags
Sehr geehrter Herr Schneeberger,
(Erich Schneeberger, Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma Landesverband Bayern e.V.)
liebe Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinschaft der Sinti und Roma in Bayern!
Ich begrüße meinen Kollegen, Vizepräsident Karl Freller.
Sehr geehrter Herr Generalkonsul Liston,
(Timothy E. Liston, Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika)
ich darf Sie stellvertretend begrüßen für die Mitglieder des Konsularischen Corps,
Annelies Faro, Generalkonsulin der Niederlande in München,
Veska Jordanova, Konsulin im Generalkonsulat der Republik Bulgarien,
Jozef Korček, Generalkonsul der Slowakischen Republik,
Oleksandr Prokopenko, in Vertretung des Generalkonsuls der Ukraine,
Vera Orsolya Stricki, Konsulin im Generalkonsulat von Ungarn,
sehr geehrter Herr Kollege Dr. Spaenle,
(als Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung)
werte Kolleginnen und Kollegen
Florian Ritter, vertritt FV von Brunn,
Sandra Bubendorfer-Licht, MdB,
Dr. Pierrette Herzberger-Fofana, MdEP,
sehr geehrter Herr Dr. Daimagüler,
(Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland)
sehr geehrte Frau Dr. Weiß,
(Dr. Jane Weiß, Referentin der Bundeszentrale für Politische Bildung und Mitglied der Unabhängigen Kommission Antiziganismus)
sehr geehrter Herr Ganev,
(Radoslav Ganev, Mitgründer Studierendenverband Sinti und Roma in Deutschland)
sehr geehrte Frau Raabe,
(Isabel Raabe, freie Kuratorin, Mitinitiatoren RomArchive – Digitales Archiv der Sinti und Roma)
sehr geehrter Herr Adler,
(Benjamin Adler, Bildungsreferent MadHouse gemeinnützige GmbH München)
Sehr geehrter Herr Grube,
(Ernst Grube, Shoa-Überlebender)
sehr geehrte Frau Cristóbal Mechó,
(Christina Cristóbal Mechó, vertritt Dominique Boueilh, Präsident Comité International de Dachau)
Hanspeter Beißer
(Vorsitzender der Stiftung Maximilianeum)
Vertreter der Religionsgemeinschaften,
Peter Klitsch, Bischöfliches Vikariat Bayern,
Christian Kopp, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern,
Apostolos Malamoussis, Bischöfliches Vikariat Bayern,
Benjamin Idriz, Islamische Gemeinde Penzberg e.V.
Vertreter der Polizei und Justiz,
Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur,
insbesondere die Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer des Maximiliansgymnasiums in München,
sehr geehrter Herr Rainer Maria Jilg ,
(Moderator: Rainer Maria Jilg, Moderator, Bayerischer Rundfunk)
Für die erkrankte Moderatorin Sabine Pusch
meine sehr geehrten Damen und Herren,
was lange währt, wird gut, so will ich sagen! – Endlich kommen wir zu diesem Empfang im Bayerischen Landtag mit dem Landesverband der Sinti und Roma zusammen. Meine Vorgängerin Ulrike Gote hat diese Tradition gepflegt und ich setze sie gerne fort – gerne schon viel früher.
Am 8. April 2020 sollte die Veranstaltung stattfinden; alles war vorbereitet, die Einladungen verschickt. Und dann: Lockdown.
Gut, dass diese Zeit vorbei ist. Gut, dass wir wieder zusammen sein können. Schön, dass Sie da sind!
Herzlich willkommen!
Es ist wichtig, dass wir miteinander reden. Es ist wichtig, dass wir offen miteinander reden. Gerade auch, weil die letzten Jahre nicht spurlos an unserer Gesellschaft vorbeigegangen sind. Wir hatten uns kaum von den Auswirkungen der Pandemie erholt, da ereilte uns die nächst Krise – eine Katastrophe: der verbrecherische Angriff Putins auf die freie, souveräne Ukraine, Krieg in Europa.
Und im Hintergrund schreitet die größte Krise unserer Zeit voran, der Klimawandel, mit existenziellen Folgen für die ganze Welt.
So reiht sich Krise an Krise. Die treffen auf Gesellschaften und Individuen, die vielfach bereits an ihre Grenzen gekommen sind. Und das hat Folgen, auch für unsere
Demokratie. Sie wird bedroht – von außen, von Imperialisten und autokratischen Systemen.
Und sie ist unter Beschuss – auch von innen. Auch hier machen die Feinde unserer Verfassung mobil, werden immer militanter. Themen wie Corona oder Migration werden im Kampf gegen unsere Werte ebenso missbraucht wie Putins Krieg. Und Krisen – speziell in der Mischung – sind ein Nährboden für Radikale aller Art.
Und wer bekommt das in der Regel als erstes zu spüren? Minderheiten!
Sie werden zu vermeintlichen Sündenböcken, zu Feindbildern.
So gärt in der Gülle des Krisenmix der Hass – Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiziganismus.
Ja, es sind eben auch die alten sinti- und romafeindlichen Vorurteile, die sich hartnäckig in Teilen der Gesellschaft gehalten haben und die in ganz Europa von Nationalisten und Rechtsextremen wiederbelebt werden.
Die Sinti und Roma sind die größte Minderheit Europas und sie erleben die stärkste Diskriminierung, rassistisch motivierten Hass und brutale Gewalt. Besonders in Ost- und Südosteuropa – aber auch hierzulande. Ich erinnere an Mercedes Kierpacz, Vili Viorel Păun und Kaloyan Velkov –
die drei jungen Roma unter den neun Todesopfern des rassistischen Anschlags von Hanau vor drei Jahren.
Noch immer verbergen daher viele deutsche Sinti und Roma ihre Herkunft. Sie verschweigen ihre Sprache, ihre Geschichte, ihre Kultur – aus Angst. Das muss uns als Gesamtgesellschaft erschüttern. Das muss ein Ende haben!
Auch darüber wollen wir heute reden – getreu dem Motto: „Nothing about us without us“. Und wir wollen mehr erfahren, über die reiche Kultur der Sinti und Roma und die Stimmungen und Wünsche in der bayerischen Community.
Vor fünf Jahren hat der Bayerische Landtag dem Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Bayerischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma einstimmig zugestimmt. In diesem März gab es eine wichtige Erweiterung mit zusätzlichen finanziellen Mitteln und weiteren Maßnahmen wie einer neuen Monitoringstelle. Sie, lieber Erich Schneeberger, haben die Verträge unterschrieben und wir sind gespannt, auf Ihr Fazit.
Sinti und Roma sind die anerkannte nationale Minderheit in Bayern. Sie ist vor Diskriminierung zu schützen und der Staat ist verpflichtet die jeweilige Kultur, Sprache und Identität offiziell zu schützen und zu fördern.
Daher brauchen wir eine intensivierte Zusammenarbeit hier in Bayern: die gute Kooperation, der gezielte Schutz und der entschiedene Kampf gegen Diskriminierung ist – muss uns ein echtes Anliegen sein!
Und ich halte fest: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Es geht nur gemeinsam!
Und es geht nur miteinander!
Dafür braucht es Kenntnis und Verständnis. Deswegen ist es wichtig, die Initiativen in den Bereichen Bildung, Kultur und Wissenschaft zu fördern, die dem Schutz und dem Erhalt der kulturellen Identität der Sinti und Roma dienen und den Klischees entgegenwirken.
Besonders wichtig ist die Bewahrung der Erinnerung an die Geschichte der deutschen Sinti und Roma – speziell an das dunkelste Kapitel: die systematische Verfolgung in der NS-Zeit, den Völkermord.
Ganz bewusst haben wir auch den Jahrestag des Aufstands im KZ Auschwitz-Birkenau am 16. Mai 1944 diesem Empfang zugrunde gelegt. An diesem Tag wollte die SS die letzten noch lebenden Sinti und Roma in die Gaskammern verbringen. Mit unglaublichem Mut und allerletzter Kraft, bewaffnet mit Steinen und Werkzeugen, verbarrikadierten
sich die dem Tode Geweihten in den Baracken. Tatsächlich gelang es ihnen, der Vernichtung vorerst zu entkommen – vorerst. Schließlich wurde ihr Widerstand gebrochen.
Die letzten 2.900 Menschen im sogenannten „Zigeunerlager“ wurden in den Gaskammern ermordet.
Diese Verbrechen sind ungeheuerlich!
So unfassbar es bleibt, was den Sinti und Roma im Nationalsozialismus angetan wurde, so unfassbar ist es, dass das Leid nach 1945 nicht endete.
Sinti und Roma erfuhren kaum Unterstützung in Politik, Verwaltung, Justiz und Gesellschaft. Sie erfuhren: Verschweigen, Verdrängen, Verleugnen, Verharmlosen und sogar: Rechtfertigung – durch dieselben Ressentiments.
Viele Überlebende haben die Diskriminierung der Nachkriegszeit als „zweite Verfolgung“ empfunden.
Unvergessen aber auch die Bilder vom Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau am 4. April 1980, es war ein Karfreitag.
Der Protest löste eine breite internationale Solidaritätswelle aus und markierte einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Minderheit – es war, wie der Aufstand in Auschwitz ein denkwürdiger Akt der Selbstermächtigung.
Doch Fakt bleibt: Die Verbrechen wurden zu lange nicht als „Völkermord“ anerkannt. Und die sogenannte „Entschädigung“ kam für zu viele zu spät.
Das ist ein historisches Versagen.
Und wahr ist eben auch, dass sich die Diskriminierung fortsetzte – in Teilen bis heute. Viele sehen ihre Stereotype bestätigt, weil Sinti und Roma leider allzu oft in prekären Lebenssituationen – am Rande der Gesellschaft – gefangen sind. Dass das ein von außen bestimmtem Teufelskreis aus Diskriminierung ist – vom Kindergarten über die Schule, die Ausbildung bis zum Arbeits- und Wohnungsmarkt – das wollen die meisten nicht sehen. Ist es doch viel bequemer die eigenen Vorurteile zu kultivieren.
Mir geht es deswegen heute auch darum, deutlich zu machen, dass Hass und Hetze gegen Sinti und Roma nicht das Problem der Sinti und Roma sind. Diese Diskriminierung muss von der Gesamtgesellschaft als ihr Problem erkannt und bekämpft werden! Nur dann können wir diesem Hass beikommen!
Aber: Mir ist auch wichtig, dass wir noch mehr Bewusstsein dafür schaffen, wie reich und bereichernd, wie inspirierend die Kultur und Traditionen der Sinti und Roma sind.
Gerade mit Blick auf den 16. Mai 1944 und den 4. April 1980 mangelt es auch noch an Respekt vor dem Widerstand der Sinti und Roma, dem Mut, und der Selbstbestimmung der Sinti und Roma. Und es fehlt immer noch an Wertschätzung für den Beitrag, den sie in Europa, in Deutschland und in Bayern, in allen Bereichen unserer Gesellschaft geleistet haben – und zwar allen Hürden zum Trotz. Sie sind wertvoller Teil der europäischen Kultur – seit Jahrhunderten!
Ich freue mich, dass es endlich so weit ist mit unserem Empfang. Ich freue mich auf eine interessante, lehrreiche Veranstaltung.
Ich danke dem Landesverband für die gemeinsame Gestaltung und Durchführung.
Ich danke allen Referentinnen und Referenten.
Und ich danke allen Gästen für Ihr Kommen.
Ich bin sicher, es wird heute auch harte Kost dabei sein. Aber die Wahrheit ist der Anfang für eine bessere Zukunft.
Meine Damen und Herren,
wir beginnen mit einer Gedenkminute für die ermordeten Sinti und Roma im NS-Völkermord und an die Opfer seither.
Bitte erheben Sie sich.